In der nächsten Woche tagt das Europäische Parlament in Straßburg. Dort wird unter anderem über eine Reform der Europäischen Bürgerinitiative, um die Auswirkungen des Brexits auf das Erasmus-Programm sowie die Beendigung der Beitrittsgespräche mit der Türkei gehen.
Zu diesen Themen bekommen Sie im Laufe der Woche genauere Informationen und hier eine kurze Vorschau.
Hintergrund: In der Europäischen Union gibt es seit dem Vertrag von Lissabon erstmals ein Instrument transnationaler partizipativer Demokratie: Die Europäische Bürgerinitiative (EBI). Seit 2012 können mindestens eine Million EU-Bürgerinnen und Bürger aus mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten durch ihre Unterschrift die Europäische Kommission auffordern, einen Gesetzgebungsvorschlag im Rahmen ihrer Befugnisse vorzulegen und damit ein Thema auf die Agenda der europäischen Politik setzen. Die Zahl der erfolgreichen Initiativen zeigt jedoch, dass noch Nachholbedarf besteht: Bisher haben von 76 Initiativen erst 4 die erforderliche Anzahl an Unterschriften erreicht. Darunter eine Initiative gegen das Pflanzenschutzmittel Glyphosat sowie für Wasser als Menschenrecht. Organisatorinnen und Organisatoren von Initiativen und Bürgerinnen und Bürgern wurden bisher zu viele Hürden in den Weg gestellt. Das Europäische Parlament hat daher bereits seit längerem eine Überarbeitung der Verordnung zur Bürgerinitiative gefordert.
SPD-Position: Seit der Einführung dieses Instruments vor sieben Jahren haben sich mehr als neun Millionen Menschen an einer Europäischen Bürgerinitiative beteiligt. Das zeigt, wie stark der Bedarf nach direkter und grenzüberschreitender Demokratie in Europa ist. Die geringe Zahl an erfolgreichen Initiativen hat jedoch gezeigt, dass Nachbesserungsbedarf bestand, um Hürden für mehr Bürgerbeteiligung in Europa abzubauen.Das Parlament konnte in den Verhandlungen mit dem Rat viele Punkte verbessern, die Anliegen der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind: Um die Hürden der Registrierung für die Organisatoren zu senken, wird die EU-Kommission künftig fachliche und rechtliche Unterstützung bereitstellen und eine Kooperationsplattform zum Austausch der besten Praxisbeispiele zur Verfügung stellen. Um die Kosten für die Organisatoren zu reduzieren und die Bürgernähe dieses Instrumentes zu gewährleisten, werden registrierte Initiativen künftig in alle 23 EU-Amtssprachen kostenfrei von der EU-Kommission übersetzt werden. Darüber hinaus werden Teile einer Bürgerinitiative zugelassen werden können, falls ein Vorschlag nicht insgesamt Gegenstand einer Initiative sein kann. Organisatoren werden selbst entscheiden können, wann die zwölfmonatige Frist zur Sammlung der Unterschriften genau beginnt. Außerdem können EU-Bürgerinnen und EU-Bürger eine Bürgerinitiative unabhängig von ihrem Wohnsitzland unterstützen. Eine erfolgreiche Bürgerinitiative wird außerdem künftig im Rahmen einer Anhörung im Europäischen Parlament ihr Anliegen der Öffentlichkeit präsentieren können. Ein Wermutstropfen war die Weigerung der EU-Mitgliedstaaten, das Mindestalter für die Teilnahme an einer Bürgerinitiative auf 16 Jahre zu senken. Es bleibt bei der Kopplung an das Alter der Teilnahme an den Europawahlen und damit in einem überwiegenden Teil der Mitgliedstaaten bei 18 Jahren. Parlament und Kommission haben sich bis zuletzt für die Senkung auf 16 Jahre eingesetzt. Denn je früher sich Jugendliche aktiv an der Gestaltung des europäischen Projekts beteiligen können, desto eher werden sie sich auch im Erwachsenenalter engagieren. Das Parlament konnte zumindest eine Öffnungsklausel durchsetzen, die es Mitgliedstaaten ermöglicht, das Alter auf 16 Jahre zu senken. Die Europa-SPD wird sich daher intensiv dafür einsetzen, dass die deutsche Regierung von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird.
Ausblick: Sollte das Plenum des Parlaments die Einigung in Straßburg final bestätigen, gilt die neue Verordnung ab 1. Januar 2020.
Hintergrund: Momentan studieren ungefähr 14.000 Lernende aus anderen EU-Ländern in Großbritannien, die an einem Erasmus- Austausch teilnehmen. Umgekehrt befinden sich ungefähr 7.000 Lernende aus Großbritannien in einer Austauschmaßnahme in einem anderen EU-Land. Für diejenigen, die sich am 29. März 2019 aktuell in einem Austausch befinden, muss Rechtssicherheit für den Fall eines harten Brexit hergestellt werden. Die am Mittwoch, 13. März 2019, zur Abstimmung stehend Verordnung regelt, dass alle, die sich am Tage des Austritts in einer sogenannten Mobilitätsmaßnahme des Erasmus- Programms befinden, ihren Austausch wie gewohnt werden fortsetzen und wie geplant beenden können. Hierzu wird vorübergehend die Vollmitgliedschaft Großbritanniens fingiert. Die Verordnung gilt allerdings nur für den Bereich der Mobilitätsmaßnahmen und nur für den Fall, dass es zu einem Brexit ohne Austrittsabkommen kommt. Außerdem wird es nur für diejenigen gelten, die sich am Tag des Brexits bereits in einer Austauschmaßnahme befinden. Für den Fall eines Brexits mit Abkommen gilt, was, bezogen auf Erasmus, im entsprechenden Abkommen geregelt wird. Der bisherige Entwurf des Austrittsabkommens sieht in Artikel 137 die weitere volle Beteiligung Großbritanniens am laufenden Erasmus-Programm bis Ende 2020 vor. Unklarheit besteht leider weiter für all diejenigen Einzelpersonen und Organisationen, die aktuell eine Maßnahme mit dem Partner Großbritannien planen wollen, da nicht klar ist zu welcher Art Brexit es kommen wird. Verbindliche Zusagen für künftig beginnende Maßnahmen können dementsprechend derzeit leider nicht getroffen werden.
Ausblick: Nach erfolgreicher Abstimmung ist mit der Unterzeichnung der Verordnung um den 25. März zu rechnen, so dass die hierin vorgesehenen Vorsorgemaßahmen noch vor dem bisherigen Brexit- Termin am 29. März in Kraft treten können.
Hintergrund: Die politische Lage in der Türkei hat sich zwischen 2015 und 2018 deutlich verschlechtert. Seit der Verfassungsänderung im Jahr 2017 konzentriert sich die Macht in der Rolle des direkt gewählten Präsidenten. Das Referendum zu der Verfassungsänderung wurde von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa besonders dafür kritisiert, dass keine öffentliche Debatte über die Konsequenzen geführt wurde und die Medienlandschaft nicht ausreichend Zugang zu Informationen erhielt. Der Wahlsieg Erdogans 2018 folgte auf einen Wahlkampf, der unter ungleichen Bedingungen geführt wurde. Seit 2016 wurden insgesamt 125.000 Personen, darunter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regierung, Akademikerinnen und Akademiker sowie Medienschaffende und Geschäftsleute strafrechtlich verfolgt. Mehr als 60.000 Personen wurden verhaftet und einigen wurde das Recht auf einen fairen Gerichtsprozess verwehrt. Die EU-Kommission hat im April 2018 den letzten Länderbericht über die Türkei veröffentlicht. Der Report fällt negativer aus als vorhergegangene Berichte. Während das Parlament 2016 noch eine temporäre Einstellung der Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei fordert, plädiert das Europäische Parlament bereits seit 2017 für eine vollständige Aussetzung der Beitrittsgespräche, sollte die Verfassungsreform unverändert in Kraft treten. Bisher ist der Prozess der Beitrittsverhandlungen nach wie vor geöffnet, auch wenn in einigen EU-Mitgliedstaaten bereits heftig darüber diskutiert wird, die Verhandlungen einzustellen.
SPD-Position: Mit der jetzigen Regierung in der Türkei können keine EU-Beitrittsgespräche geführt werden: Es kommt vermehrt zu Menschenrechtsverletzungen, eine justizielle Unabhängigkeit fehlt und die neue Verfassung lässt Gewaltenteilung und Kontrolle vermissen. Wenn eine Regierung diese roten Linien überschreitet, müssen politische Konsequenzen folgen. Die im Bericht geforderte formale Aussetzung der Beitrittsgespräche ist die logische Konsequenz aus dem Appell des Parlaments an eine Aussetzung im Bericht des Jahres 2017, sollte die Regierung die damals geplante Verfassungsreform umsetzen, die mittlerweile vollzogen ist. Denn inzwischen geht es auch um die Glaubwürdigkeit der EU. Das bedeutet nicht, dass alle Türen zur Türkei geschlossen werden sollen. Die Türkei ist ein wichtiger Nachbar der EU-Mitgliedstaaten und ein wichtiger Partner, besonders in der Zusammenarbeit bei Fragen der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Die EU muss weiterhin die Zivilbevölkerung, Journalistinnen und Journalisten sowie Menschenrechtsaktivisten und -aktivistinnen in der Türkei unterstützen. Über eine gemeinsame Zollunion soll weiterhin diskutiert werden können, solange der Respekt für die Werte in der Europäischen Union eine Grundvoraussetzung für einen Beitritt bleibt. Auch Visa-freies Reisen für türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger muss eine Option bleiben.
Ausblick: Im Falle einer Mehrheit im Plenum für den Bericht würde die Türkei nicht den Status eines EU-Beitrittskandidaten verlieren. Dieser kann ausschließlich vom Antragsteller selbst zurückgezogen werden. Die Türkei wird weiterhin Gelder aus dem Finanzinstrument der Heranführungshilfe für EU-Beitrittskandidaten erhalten, allerdings deutlich eingeschränkt und hauptsächlich zur Unterstützung der Zivilgesellschaft.