Seitenweise hat das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) abgeschrieben, ohne dabei die Quellen zu kennzeichnen: Die EU-Risikobewertung des Bundesinstituts zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Herbizids Glyphosat besteht laut einer aktuellen Studie zu mehr als zwei Dritteln aus Kopien und Plagiaten. Die Quote beträgt 72,8 Prozent.
„Mit dem eigenen Kodex guten wissenschaftlichen Arbeitens nimmt es das BfR offensichtlich nicht so genau. Denn durch das Kopieren von mehreren Hundert Seiten industrieller Bewertung hat das Bundesamt diesen Grundsatz verletzt und damit die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger in Europa riskiert. Fest steht jetzt, dass Glyphosat nicht auf dem Fundament einer objektiven, unabhängigen und transparenten Bewertung auf den Markt gebracht wurde, sondern stattdessen auf der Grundlage des von Monsanto und Co. erstellten Zulassungsantrags. Es flossen also irreführende und lückenhafte Informationen aus dem Zulassungsantrag in die Risikobewertung des Bundesamtes ein“, kritisiert Ismail Ertug, SPD-Europaabgeordneter für die Oberpfalz und Niederbayern.
Plagiate fanden die Autoren einer aktuellen, exklusiven Studie von Plagiatsexperten fast ausschließlich bei der Bewertung öffentlicher Studien im Abschnitt zu den potentiellen Gesundheitsrisiken von Glyphosat. Demgemäß sei die Hälfte aus dem Zulassungsantrag der Industrie plagiiert und als Produkt des Bundesinstitutes ausgegeben worden. Dies beinhalte ganze Paragraphen und komplette Seiten Fließtext, die sowohl die Struktur als auch das Ergebnis der Studien bewerten.
Eine weitere Erkenntnis dieses Skandals ist, dass keine der 58 öffentlichen Studien, beispielsweise von Regierungen oder Nichtregierungsorganisationen, zu dem Wirkstoff Glyphosat oder zu Glyphosat-Verbindungen als relevant oder glaubwürdig eingestuft worden seien. Das umfasse auch all jene Studien, die ein deutlich erkennbares Risiko für das sogenannte Non-Hodgkin-Lymphom nachgewiesen haben, welche laut Expertinnen und Experten der Internationalen Agentur für Krebsforschung den Verdacht erregten, dass Glyphosat Krebs beim Menschen auslösen könne. Damit hat das Bundesinstitut teils kritische Studien unterschlagen.
"Es ergibt sich ein Bild, wonach die Kopie von Zulassungsanträgen entsprechender Unternehmen weitverbreitete Praxis zu sein scheint. In der EU werden Pestizide derzeit nicht unabhängig evaluiert. Daher muss die Konsequenz sein, dass das BfR die Risikobewertung für ungültig erklärt und diese dann von einem anderen EU-Mitgliedstaat neu auszuarbeiten ist“, betont Ertug
Glyphosat wurde im November 2017 auf der Grundlage der europäischen Zulassung für Pestizide wieder für die Verwendung in Europa zugelassen. Das Herbizid ist das am weitesten verbreitete landwirtschaftliche Gift der Welt und kommt in Flüssen, Grundwasser und Nahrungsmitteln vor.
"Vor dem Hintergrund der gefundenen Ergebnisse muss auch der Auftritt des Bundesinstitutes für Risikobewertung sowie Vertreterinnen und Vertretern der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde im PEST-Sonderausschuss neu beleuchtet und potentielle Konsequenzen gezogen werden. Die Aussage eines Vertreters der EU-Behörde, nach dem sich im ersten Band der Risikobewertung des Bundesinstitutes keine Kopien aus dem Zulassungsantrag befänden, ist nachweislich falsch. Das muss ein Nachspiel haben, für das im Falle des Bundesinstituts in Deutschland die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zuständig ist", fordert Maria Noichl, Ertugs Kollegin im Europäischen Parlament und SPD-Landwirtschaftsexpertin. "Für die konventionelle Landwirtschaft, die Glyphosat im hohen Maße einsetzt, müssen Ersatzstoffe gefunden werden, die weniger gefährlich für Menschen, Tiere und Umwelt sind. Langfristig muss die eingesetzte Menge an Pflanzenschutzmitteln verringert und die Landwirtschaft ökologischer gestaltet werden."
Die Klassifizierung von Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend im März 2015 durch die Internationale Agentur für Krebsforschung löste eine große öffentliche Debatte über die Risiken des Wirkstoffes aus, insbesondere da der Stoff im Rahmen des europäischen Zulassungsprozedere als unbedenklich eingestuft worden war. In diesem Zusammenhang kam auch die Frage auf, inwiefern die Risikobewertung durch das Bundesinstitut für Risikobewertung von der European Glyphosate Task Force (GTF), der Koalition der Glyphosat-produzierenden Unternehmen, beeinflusst worden war. Dies konnte im Rahmen der Arbeit des PEST-Sonderausschuss nicht geklärt werden. Daher hat eine Gruppe von Europaabgeordneten, unter anderem Maria Noichl, sich dazu entschieden, diese Studie in Auftrag zu geben. Die Risikobewertung von Glyphosat besteht aus 4322 Seiten. Die Wiener Experten haben davon im Zuge der Studie über 1000 Seiten analysiert.